Pocken in Halle im Jahr 1800

Die Krankheit in Zahlen

 

Ab dem Monat Mai des Jahres 1800 sind in Halle die Pocken ausgebrochen. Jede Woche gibt es mehr und mehr Tote zu beklagen. Vor allem die jüngeren Kinder sterben an der Epidemie.

 

Jeder in der Stadt Halle wusste von dem Unglück Anderer oder hatte selbst schon Kinder verloren. Die Angst der Mütter und Väter muss groß gewesen sein. In der Liste „Bürger des Jahres 1800“ kann man sich im einzelnen darüber informieren. Die Todesursache der Verstorbenen wurde im Wochenblatt immer mit angeführt. Im Jahr 1800 sollten es von Mai bis Dezember noch 466 an den Pocken verstorbenen Kinder bis 10 Jahren werden. Ich habe die gruseligen Zahlen einmal herausgefiltert und in einem Diagramm dargestellt.

 

Während von Oktober 1799 bis Mai 1800 nur 5 Kinder an den Pocken versterben, breitet sich die Krankheit von Juni bis August sprunghaft aus. Im Juni sterben 13 Kinder im Juli schon 65 und auch im August 68 Kinder. An der Krankheit sterben ausschließlich Kinder bis 13 Jahre.

 

Neben den Pocken gibt es allerdings auch noch weitere Krankheiten die bevorzugt bei Kindern zum Tode führen können. Von Oktober bis August sterben an Jammer 43, an Zahnfieber 16, an Auszehrung 51, am Steckfluß (Lungenödem) 79 und an Brustkrankheit 9 Kinder bis 16 Jahre. Insgesamt sind das noch einmal gelistete 200 Todesfälle für diesen Zeitraum.

 

Die Anzahl der Todesfälle an Pocken nimmt bis zum November (13) und Dezember (12) wieder ab. Im Januar und Februar des folgenden Jahres gibt es nur noch vereinzelte Todesfälle. Die Epidemie ist überstanden. Man muss sich vorstellen, dass neben den Sterbefällen auch sehr viele Kinder an der Krankheit litten, die Eltern wochenlang um das Überleben ihres Kindes bangen mussten.

 

Das Wochenblatt selbst hat im Januar 1801 [[1]] die Todesfälle des Jahres 1800 in einer Statistik veröffentlicht. Auch hier wird Ende Mai als der Beginn der Pockenepidemie angegeben.

Ebenfalls wird von der Zeitschrift im folgendem noch die Ruhr statistisch ausgewertet. Diese beginnt sich ab Juli in der Stadt zu verbreiten. 23 gestorbene Mädchen und Jungen werden bis Dezember gezählt [[2]]. Zum Ende des Jahres treten auch die Masern noch verstärkt auf.

Ein Vergleich der Geburten und der Gestorbenen der Jahre 1800 und 1801 macht die ganze Tragweite noch einmal deutlich [[3]].

 

1800 wurden 660 Kinder lebend geboren

1242 Menschen sind gestorben

davon waren 757 unter 10 Jahren.

 

1801 wurden 712 Kinder lebend geboren

836 Menschen sind gestorben

davon waren 393 unter 10 Jahren.

 

Durch das Wüten der Pocken ging der Stadt zahlenmäßig ein ganzer Jahrgang verloren. 466 Pockentote sind mehr als alle gestorbenen Kinder des folgenden Jahres zusammen.

In einer Veröffentlichung von 1854 wurden die epidemischen Krankheiten in der Stadt Halle über die Jahrhunderte hinweg akribisch aufgezählt. Pest, Thyphus, Masern, Ruhr und im 18. Jahrhundert in zunehmendem Maße die Pocken [[4]].

 

Ich habe die dort vorgestellten Zahlen der letzten Jahrzente herausgesucht. Die Pocken werden in der Veröffentlichung für das Jahr 1698 das erste mal genannt und treten im Zeitraum dann statistisch alle 5 Jahre in Halle auf. Dabei schwanken die Todesfälle in erheblichem Maße. Ab dem Jahr 1776 gibt es genaue Zahlen. Im folgenden sind die Pockenepedemien ab diesem Jahr einmal aufgezählt.

In den Jahren dazwischen werden Röteln und Masern beschrieben. Die Pockenepidemien stellen allerdings die weitaus größte Bedrohung dar.

 

1777 Pocken mit geringer Heftigkeit

1779 Pocken 114 Todesfälle im inneren Stadtgebiet von Halle

1782 Pocken in einzelnen Fällen

1787 Pocken 150 Todesfälle

1791 Pocken 304 Todesfälle

1795 Pocken 117 Todesfälle

1800 Pocken 423 Todesfälle

 

Das Jahr 1800 stellt die bis dahin größte Pockenepidemie dar.

Zusätzlich tritt die Ruhr auf und Nervenfieber häufiger als normal. Anfang 1802 kommen die Masern und eine „kleine“ Scharlachepidemie dazu.

 

Man kann sich sehr gut ausmalen, dass die ständige Angst um Krankheiten, das der Verlust dieser vielen Kinder einen traurigen Schatten über die ganze Stadt zog. Das schon die ersten Pockenkranken und die immer neuen Kranken mit Erschrecken erlebt wurden. Heute weiß man das von der hohen Ansteckungsgefahr der Pocken. Sie verbreiten sich über den anfänglich katarrhalisch hustend Infizierten und siedeln sich in einem Umkreis von unglaublichen 20 Metern im Rachenbereich anderer Menschen an, getragen von Luftzügen. Jeder von einem Pockenkranken berührte Gegenstand wird hochinfektiös. Sobald die charakteristischen, von geronnenem Blut schwarz erscheinenden Pusteln aufgekratzt werden und sich entzünden, können sogar Fliegen, die sich am Eiter der Pusteln laben, das Virus leicht übertragen.

 

Wenn Kinder die Pocken überstanden hatten wurde in Dankbarkeit gespendet oder den verschiedenen Ärzten für ihre Bemühungen gedankt. Und so werden auch Veröffentlichungen zur Bekämpfung der Pockenkrankheit sicher mit sehr viel Anteilnahme gelesen und in der Stadt diskutiert (Siehe Hallische Ärzte und ihr Wirken gegen die Pocken).

 



[1] HPW Jg 1, 10. Jan 1801 S. 246

[2] HPW Jg 1, 10. Jan 1801 S. 247

[3] HPW Jg 3, 30. Jan 1802 S. 292

[4] Dr F. von Bärensprung, Ueber die Folge und den Verlauf epidemischer Krankheiten. Beobachtungen aus der medizinischen Geschichte und Statistik der Stadt Halle, Halle Verlag H.W. Schmidt 1854, Seite 30 ff